Der Traum vom Ende des Krieges

26/08/2012
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Der Sonderbericht über die Situation im Cauca von Ismael Paredes Paredes* beschreibt den Alltag der indigenen Gemeinden der Nasa, die das Dröhnen des bewaffneten Konflikts in ihren Gebieten und den Hass und die schreckliche Diskriminierung durch einen Teil der kolumbianischen Gesellschaft erleben.
 
„...Die kolumbianische Gesellschaft hat sich als nicht fähig erwiesen, ihr eigenes Schicksal zu gestalten. Sie hat an den Altären verschiedener Weltmächte gedient und versucht, deren Kulturen nachzuahmen. Nur mit einer Kultur hat sie es völlig abgelehnt, sich zu identifizieren: mit ihrer eigenen - der Kultur ihrer indigenen Völker, ihrer schwarzen Mitmenschen, ihrer Mestizen...“ William Ospina in seinem Buch „¿Dónde está la franja amarilla?“
 
Medien manipulieren den Krieg im Cauca
 
Wir wissen, wir befinden uns im Krieg. Was wir nie wussten oder einsehen wollten ist, wie die kolumbianische Gesellschaft (das heisst, die uralte Aristokratie, kommerzielle Medien, Monopole der öffentlichen Meinung, Sektoren der Kirche und des Militärs, politische Parteien der Rechten, der Ultra-Rechten und des Zentrums) unseren indigenen Gemeinden wortwörtlich ihren niederträchtigen Hass erklärte. So geschah es damals auch gegenüber der einzigen politischen Partei (mit Prinzipien und soliden Konzepten), die je in Kolumbien existierte und die vernichtet wurde: die Patriotische Union (Unión Patriótica). Nach Meinung von Giovanny Yule, einem Anführer der Nasa, hätten die Medien am 17. Juli einige leichtsinnige Schubsereien gegen die Militärs derartig dramatisiert, dass die öffentliche Meinung und die Regierung sich gegen die indigenen Völker des Cauca gewandt hätten.
 
Der heilige Zorn dieser „kultivierten“ Gesellschaft war spürbar, als vor zwei Wochen ein 'Held' des Militärs, der Feldwebel Rodrigo García, in den Medien einem gewaltigen Wutausbruch freien Lauf ließ und Tränen vergoss, die er Jahre lang zurückgehalten hatte, da die 'Disziplin' des Militärs seinen Mitgliedern nicht erlaubt zu weinen. Dies schadet ihrer 'Männlichkeit'. In Wirklichkeit sahen wir dort einen Soldaten, der aus Machtlosigkeit weinte, weil er die Würde eines Volkes auch nicht mit Waffen und seinem Militärapparat zerstören konnte, erklärte Feliciano Valencia, der Anführer der Nasa im Cauca.
 
Einige Lehrer der Nasa, die bei der Rückeroberung des heiligen Hügels Berlín durch die Gemeinde dabei waren, schilderten auf folgende Weise den Wutanfall des Soldaten: „Als die Soldaten bereit sind auszurücken, befiehlt der Feldwebel García einem Teil der Truppe, sich auf die rechte Seite des Hügels hinzubewegen und einem anderen auf die linke. Als er hört wie die Gemeindemitglieder „Haut ab“ rufen, wirft er sich auf den Boden und fängt vor den dort laufenden Kamaras zu schreien und zu strampeln an.“ (1) Diese Aussage bestätigt die melodramatische Show, die Rodrigo García in Toribio inszenierte. Dasselbe empörte und 'anständige Land' störte sich nicht daran, als zwei Wochen zuvor in Risaralda das Militär auf eine Frau und einen Mann des indigenen Volkes der Emberá schoss. Die Frau verlor zunächst ihr acht Monate altes Baby und starb dann selbst(2). Sie musste die böswillige Gleichgültigkeit der Gesellschaft spüren, die zwar imstande ist, eine gerechtfertigte Tat der Indigenen zu verurteilen, aber mit gehässiger Langeweile das Leiden tausender Opfer der Paramilitärs, der Guerilla und mehr als 3.000 Opfer des Skandals um die „falsos positivos“ verfolgt. [Bei den „falsos positivos“ handelt es sich um junge Männer, die von der Armee aus ihren Heimatregionen verschleppt, ermordet und dann als im Kampf getötete Guerilleros deklariert worden sind. (3)]
 
Gleichgültigkeit der Gesellschaft gegenüber dem Schicksal der Indígenas
 
Die selbe 'würdevolle' Gesellschaft hat weder geweint noch war sie empört angesichts fast tausend ermordeter Indigener im Cauca. Einige von ihnen starben durch die öffentliche Gewalt, so wie die 20 Opfer des Massakers El Nilo im Jahr 1991, zu dem sich der Staat durch den damaligen Präsidenten Ernesto Samper bekannte. Es ist also keine Demütigung für die Indigenen, ihre Toten zu begraben und mit ihren Witwen und Waisen über den Schmerz tausender ermordeter Indigener zu weinen? Eine geheuchelte Träne der „Ehre“ ist also mehr wert als der wahre Schmerz, den Tausende von Nasa im Cauca spüren, die Massaker und Demütigung erlitten und gebrandmarkt sind von Gebietsenteignungen und historischer Diskriminierung? Ist es nicht auch entwürdigend, dass sich manche Großgrundbesitzer im Namen der Moral und auf institutionellem Wege mit Waffengewalt oder mit Hilfe von verwaltungsrechtlicher List die Gebiete der Indigenen widerrechtlich aneignen? Es zeigt sich, dass diese Gesellschaft noch immer glaubt, dass die Indigenen keine Gefühle und keine Seele hätten. Gewiss ist es für das Militär eine Demütigung, dass die Indigenen dem Krieg überdrüssig geworden sind, wie die Gemeinschaft der Nasa betont. Dies greift auch die Kolumnistin María Teresa Ronderos auf, als sie berichtet, dass die Indigenen die Angriffe der Guerilla und des Militärs ertragen; ihre Kinder erhalten Unterricht, der von den Fronten des Krieges bestimmt wird. Die Häuser dieser Menschen wurden zerstört und die Familien weinen um ihre Toten.
 
Eben jene 'gerechte' Gesellschaft peinigt weder die Henker tausender von Waisen und Witwen, die der 60-jährige Konflikt gefordert hat, noch schlägt sie sich an die Brust angesichts der Kinder, die an Hunger, Kälte und Einsamkeit sterben. Sie empört sich auch nicht darüber, dass Tausende von Frauen sich gezwungen sehen, ihre Körper und Würde in den stinkenden Betten der Bordelle zu verkaufen, um damit ein paar Bissen für ihre Kinder besorgen zu können.
 
Diese ehrenwerte Gruppe von JournalistInnen, Soldaten, MeinungsmacherInnen, 'achtbaren' PolitikerInnen, industriellen Grundbesitzern, UnternehmerInnen und ChristInnen hat weder wütend und unvoreingenommen den Genozid an 3.000 Indigenen während der vergangenen 20 Kriegsjahre gerügt, noch das Gesundheitssystem getadelt, aufgrund dessen jeden Tag Kinder der Indigenen und Landbevölkerung neben anderen vermeidbaren und heilbaren Krankheiten an Unterernährung und bakteriellen Infektionen sterben.
 
Es gäbe viele Sünden, an die man diese moralische, gleichgültige und arrogante Gesellschaft erinnern könnte. Allerdings irre man sich zu glauben, es sei diese Gesellschaft, der ich meine Zeilen widmen möchte. Ganz im Gegenteil: im Mittelpunkt dieser Erzählung steht das Leben, die Würde und der Widerstand der Landbevölkerung, der Afros und der indigenen Gemeinden, sowie deren kulturelles Erbe. Dieses ist das Fundament eines Landes, das neben Indigenen, LandarbeiterInnen und Afros von vielen Menschen geliebt und durch gemeinsame Träume von Glanz und Würde, unter Gleichheit und Gerechtigkeit, mit Schmerz und Freude, Ausdauer und Liebe, mit Fehlern, aber auch der Bescheidenheit, diese zu erkennen und zu beheben, errichtet wird. Vor allem aber gründet es sich auf die kulturelle Vielfalt – der großen Stütze unseres Landes.
 
Widerstand in Toribio
 
Von Quilichao aus erreichen wir am 21. Juni um 7.30 Uhr Santander. Nachdem wir eine Gruppe von Indigenen begrüßen, die auf den Bus warten um nach Toribio zu fahren, ist das nächste Geräusch, das wir über die Radios der Guardia Indígena, einem indigenen Wachdienst, wahrnehmen, das Geräusch von Gewehrkugeln. Von Caloto aus meldet der Sender, die Wartenden sollten nicht nach Toribio fahren, da es zu Auseinandersetzungen in der Gegend gekommen sei. 15 Minuten später gibt es Treffen beim Sitz der Vereinigung der Indigenen Gemeinden des Cauca ACIN (Asociación de Cabildos Indígenas del Cauca) mit indigenen Familien aus ländlichen Gebieten und mit uns BesucherInnen aus Bogotá, Mitgliedern der Minga des Widerstands Bakatá. Auch die alternative Nachrichtenagentur Notiagen und eine Kollegin der Nationalen Indigenenorganisation Kolumbiens ONIC (Organización Nacional Indígena de Colombia), sowie Vertreter des Regionalen Indigenen Rates Risaralda CRIR (Consejo Regional Indígena Risaralda) sind anwesend. Unter den Vertretern der CRIR befindet sich ein befreundeter Fotograf, der ebenso den indigenen Widerstand im Cauca unterstützen will.
 
Zu diesem Zeitpunkt beunruhigt mich ein Anruf, den ich von einem befreundeten Korrespondent des Regionalen Indigenen Rates des Cauca (Consejo Regional Indígena del Cauca) aus Toribio erhalte. Wiederholt fordert er mich auf, so bald wie möglich dort zu sein, da eine Versammlung alternativer Berichterstatter und befreundeter internationaler Journalisten abgehalten werde. Diese VerteidigerInnen des Rechts auf freie und unvoreingenommene Information wollen einen Ausweg aus der verleumderischen Falle finden, die kommerzielle kolumbianische Medien dem guten Ansehen unserer indigenen Gemeinden gestellt haben. In einem weiteren Telefongespräch mit einer befreundeten Korrespondentin des Kommunikationsnetz ACIN für Wahrheit und Leben (Tejido de Comunicación ACIN por la Verdad y la Vida) werde ich zu Vorsicht gemahnt, da entlang des Weges Kämpfe stattfänden. Erneut höre ich die Schüsse durch das Handy.
 
Allerdings ist es nicht das, was mich überrascht, sondern die Antwort einer Nasa der Guardía Indígena, der ich von meinen Sorgen erzähle. Mit beachtlicher Gelassenheit entgegnet sie mir: „Deshalb gehen wir nach Toribio, um den Krieg zu bändigen. Wir Indigenen werden diesen Konflikt, der gar nicht unser eigener ist, beenden“.
 
Der Traum vom Ende des Krieges
 
Der Traum, den Krieg zu beenden, ist ein Imperativ des Nasa-Volkes, dem sich die Kinder und Jugendlichen bis hin zu den Frauen und weisen Alten der Gemeinschaft verschrieben haben. Dies betont auch Emilse Paz Labio des Frauenrates ACIN (Consejería de Mujer ACIN): „Wir Frauen säen das Leben. Alle haben wir es satt, nicht in Ruhe leben zu können und jeden Tag das Geräusch der Schüsse und Explosionen hören zu müssen. Wir sind den verminten Wegen überdrüssig und auch, dass wir indigenen Frauen von den verschiedenen bewaffneten Kämpfern sexuell misshandelt werden. Unsere minderjährigen Kinder werden für den Krieg angeheuert. Wir Frauen sind allein für unsere Kinder verantwortlich, denn viele unserer Männer sind ermordet worden. Wir sind es leid auf unsere Gemüsefelder zu gehen und dort Minen vorzufinden...“.
 
Unsere Sorgen lassen nach, als wir eine Stunde später in der Ortschaft El Palo ankommen, einem Verwaltungsbezirk der Gemeinde Caloto, eineinhalb Stunden von Toribio entfernt. Wir steigen in den Bus, der Leute zu einer Anhörung bringen soll, die mittags in dem indigenen Schutzgebiet San Francisco stattfindet. Dort sollen rechtliche Maßnahmen gegenüber vier Angehörigen der Guerilla getroffen werden, die drei Tage zuvor von der Gemeinde durch deren indigenen Wachdienst festgenommen wurden. Die Festnahme ist Teil des autonomen Vorgehens der Indigenen bei dem alle Akteure des Konflikts, die den Familien so viel Schmerz bereitet haben, aus dem Gebiet der Indígenas vertrieben werden sollen.
 
Um neun Uhr morgens fallen die Schüsse in Caloto ununterbrochen und mit lautem Knallen. Ein Militärflugzeug kreist über die hellen Hügel von Toribio, „ein herrliches und wunderschönes Land. Ihr wisst gar nicht, wie viel Frieden man hier spürt. Allerdings bringt uns die Ungewissheit des Konflikts um. Man kann sich nicht erklären wie Toribio, dieses Nest des Friedens, zum Zentrum des Krieges werden konnte“, bedauert eine junge Nasa, während wir auf der Straße entlang fahren. In El Palo mussten wir fast eine Stunde warten, bis die Kämpfe aufhörten. In Toribio stellen die indigenen Räte, die CRIC und die ACIN in aller Eile eine Komission zusammen, die nach El Palo kommen wird, um von der Guerilla und dem Militär das Ende des Krieges zu fordern.
 
Die Spuren des Krieges
 
Während die Herren des Konflikts ihrem Hass freies Spiel lassen und sich Gut und Böse untereinander töten, nimmt das Leben in den Gemeinden seinen Lauf. Wir Durchreisenden schätzen es sehr wie die Kämpfe, die nur wenige Meter entfernt toben, nicht die Gespräche über landwirtschaftliche Projekte, Familienbesuche, über Liebschaften und Abneigungen verhindern können. Die Menschen machen sich über Dinge lustig und alles scheint ganz normal, bis die Gemeinden ihr Zuhause verlassen müssen, da ihr Leben in Gefahr ist.
 
In Toribio wurde das humanitäre Völkerrecht radikal zum Eigennutz derjenigen Kriegspartei eingeschränkt, die in diesem sinnlosen Kampf die „Kontrolle über das Gebiet“ gewinnt oder verliert. Dieser Kampf forderte in Toribio während der letzten Jahre mehr als hundert Tote, tausende von Vertriebenen, Schwerbehinderten und zerstörten Wohnhäusern. „Aber vor allem hat er uns unglaublich müde gemacht“, so ein alter Nasa aus einem Bezirk nahe Toribio. „Wir wollen keine Guerilla mehr und kein Militär. Wir wollen auch nicht, dass die Medien (er nennt RCN, Caracol und CM&) weiter von unserer Geschichte berichten. Sie schaden uns mehr als der Konflikt selbst.“
 
Nach dieser Äußerung eines einfachen Bauern und Opfer des Krieges ist man sprachlos. Mir fällt nichts ein, was ich ihn noch fragen könnte. Es fühlt sich an, als hätte er mit seinen wenigen Worten das ganze Schicksal unserer indigenen Gemeinden erzählt. Allerdings geht das Drama weiter. „Man weiß nie wann sie zuschlagen. Wir können nicht in Ruhe unser Gemüse anbauen. Wir Älteren befinden uns auf unseren Feldern mitten im Gefecht, während unsere Frauen und Kinder in den Häusern von verirrten Kugeln getroffen werden könnten. Oft geht unsere Ernte kaputt. Ich bin dennoch hier geblieben, denn ich habe keinen Ort an den ich gehen könnte. Viele andere jedoch sind gegangen. Dass wir uns jeden Tag inmitten des Konflikts befinden, bedeutet eine große Ungewissheit und davon ist unsere Ruhe beinträchtigt. Nie hat ein indigener Nasa mit so grosser Unruhe gelebt! Den Konflikt erleben wir heute - vor 30 Jahren jedoch...“
 
Das Zeugnis dieses Mannes, dem ich am Nachmittag begegne, die Gespräche, die wir im Bus hören und die Alltäglichkeit dieses und anderer Besuche der Gemeinden im Cauca, sowie der Verlauf der Versammlung in Toribio, lassen uns zu dem Schluss zu kommen, dass in dieser Zone des Cauca der Krieg alles zerstört hat, außer die Würde, Autonomie und den Widerstand der indigenen Völker.
 
Journalismus in der Krise
 
Seit ich begann Journalismus zu studieren, vergingen elf Jahre bis ich am 21. Juni in Toribio ankam. Erst dort konnte ich begreifen, was so offensichtlich ist, ich aber aus Starrsinn nicht glauben wollte: Der kolumbianische Journalismus durchlebt die schwerste ethische Krise seiner Geschichte. Ich möchte jedoch betonen, dass es noch immer viele unparteiische und verlässliche JournalistInnen gibt, die unserem bescheidenen Beruf alle Ehre machen.
 
Trotz allem weisen mich viele Menschen daraufhin – und ich empfange die Nachricht mit großem Schmerz -, dass wir kurz davor sind, den unvoreingenommenen Journalismus schändlichst zu begraben. Dies betreffe die Mehrheit der kommerziellen Medien des Landes, wie mir verschiedene indigene Anführer im Cauca, aber auch die Mamos Kogui der Sierra Nevada und einige weise Indigene aus Taraira in Vaupés erzählen. Das gleiche höre ich von den Opfern der Gewalt im Osten Antioquias, den Bauern und Bäuerinnen in Catatumbo und auch von verschiedenen hervorragenden LehrerInnen und sogar von meinen eigenen KollegInnen. „Wir sind dazu gezwungen, den Vorgaben des Herausgebers zu folgen und der Schwerpunkt der Nachrichten unterliegt klaren politischen und wirtschaftlichen Interessen“, erzählt mir ein Kollege einer kommerziellen Agentur, der mich außerdem an das Hypodermic-Needle-Modell der Kommunikation erinnert. Nach diesem Modell führe die wiederholte Propaganda eines Geschehens dazu, dass die Massen ein Gefühl der Ablehnung oder des Gefallens gegenüber einer Person oder eines Umstandes entwickeln. Es müssen also Informationen in Umlauf gebracht werden, die eine bestimmte Wirkung hervorrufen. Beispiele sind die Legitimation des Ersten und Zweiten Weltkrieges durch die Bevölkerung oder die Akzeptanz der Paramilitärs oder der Guerilla von bestimmten Bereichen der kolumbianischen Gesellschaft. Dieses Wohlwollen wurde durch die Wirkung des Modells von der hypodermen [unter die Haut gehenden] Nadel erzielt. Ein weiteres Beispiel ist das Massaker in Ruanda, bei dem einige Sender und Tageszeitungen zwischen Gemeinschaften der gleichen Ethnie, den Banyaruanda, Tutsi und Hutu, Hass schürten. Auf dem Weg zum höchsten Ideal – der endgültigen Auslöschung des Feindes – sollte zunächst eine unmenschliche Verständigung innerhalb des Volkes geschaffen werden und dadurch, aufgrund der massiven Beteiligung am Genozid, ein gemeinsames Schuldgefühl entstehen. Jede und jeder sollte wissen, dass, sobald ein Mord begangen werde, das unumgängliche Gesetz der Rache drohe, das die Nähe des eigenen Todes erahnen liess, wie es Ryszard Kapuscinski erklärte. Dem polnischen Journalisten zu Folge führte dieses Gefühl zu einer Rassentrennung mit enormen Ausmaßen. Die Kämpfer der Tutsi galten bei den Hutu als Kakerlaken und wurden von diesen praktisch vernichtet.
 
Medien, Regierung und Guerilleros haben alle Skrupel verloren
 
AnalystInnen sind der Meinung, dass durch den Krieg im Cauca die Medien ihre letzten Skrupel verloren haben, Information zu eigenen Zwecken zu nutzen. Sie haben es geschafft, dass die Indigenen von der öffentlichen Meinung als Angreifer betrachtet werden. Fazit sei, wie es der Menschenrechtsaktivist Iván Cepeda erklärte, dass ein Teil der Gesellschaft die Indigenen nicht als Opfer, die sie seit vielen Jahren sind, sondern als Täter betrachte.
 
Der Krieg hat auch unter den bewaffneten Akteuren jeglichen Respekt vor der Zivilbevölkerung zunichte gemacht. Dies zeigen die Beschwerden der Gemeinden sowohl gegenüber dem Militär als auch der Guerilla. „Wenn wir von den Soldaten wissen wollen, warum sie unsere Mitglieder töteten, antworten sie uns, es sei nur ein Versehen gewesen. So wie es in Cadono bei dem Mord an einem Indigenen geschah. Wenn wir die Guerilla fragen, warum sie die Zivilbevölkerung angreift, heisst es, es sei unvermeidbar, dass es bei Kämpfen gegen die Staatsmacht zu Toten unter der Zivilbevölkerung käme. Die Gemeinden befänden sich nun mal in der Nähe“, schildern indigene Anführer bei der Anhörung am 21. Juli in Toribio.
 
Auch der zerbrechliche politische und verfassungsrechtliche Wille der Regierung, die Autonomie und das Leben der indigenen Gemeinden sicher zu stellen, ist durch den Krieg zu Bruch gegangen. Dies ist aus den Reden des Präsidenten, des Verteidigungsministers und verschiedener Generäle zu entnehmen, in denen sie auf verantwortungslose Weise die Indigenen als Verbündetete des Krieges darstellen. Damit liefern sie die Gemeinden den Kugeln und der Gesellschaft aus, die wie ein Richter ohne Beweise handelt und das Verhalten der 'wilden Indios' verurteilt. Laut der Gesellschaft 'misshandeln' die Indigene das kolumbianische Militär. Eine so schäbige Gesellschaft, die ihre eigenen Wurzeln leugnet, sollte sich schämen.
 
Die Anhörung in Toribio: Warnung an alle, die den Frieden der indigenen Gebiete stören
 
21. Juli, 12 Uhr mittags. Während der Anhörung wurden Tatsachen genannt, von denen die Presse nicht berichtete: Die jahrtausendlangen Kämpfe der Nasa und der indigenen Völker des Cauca, die Auseinandersetzung mit der Guerilla auf Kosten des eigenen Lebens und der andauernde Konflikt mit den bewaffneten Akteuren, die das Gebiet der Indigenen bedrohen und das humanitäre Völkerrecht verletzen. Der Höhepunkt der Versammlung war die Bestrafung der Guerilleros, die festgenommen wurden, als sie Soldaten des Stützpunktes Berlín in Toribio mit Sprengstoff bewarfen. Diesen Ort beanspruchen die Indigenen für sich, da er als heilig gilt. Bei dem Urteil handelte es sich um die Anwendung der Indigenen Sonderrechtsprechung, der Nationalen Verfassung und Abkommen des internationalen Rechts, wie etwa der Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation ILO oder der Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker.
 
Die indigenen Entscheidungsträger machten deutlich, dass sie im Rahmen ihrer Autonomie Kontrolle über ihr Gebiet ausüben, um es mit ihrem Leben in Einklang zu bringen. Sie wiesen die Guerilleros darauf hin, dass jede Person, die das Leben und das Gebiet der Gemeinden bedrohe, dafür einstehen und die jeweilige Strafe auf sich nehmen müsse. In dem betreffenden Fall, der sich drei Tage zuvor in Toribio ereignete, hätten die Guerrilleros die Zivilbevölkerung gefährdet, als sie durch ihr Vorgehen die Reaktion des Militärs herausforderten. Jedes Mal, wenn es zu Auseinandersetzungen kam, hätte sich die Zivilbevölkerung mitten im Kreuzfeuer befunden. Durch ihr Verhalten hätten die Guerrilleros das Gebiet und das Umfeld der Nasa im Norden des Departamentos gestört. Dieses Ungleichgewicht soll durch das Urteil der indigenen Rechtssprechung wieder ausgeglichen werden. Wie in den Akten der Versammlung vermerkt wurde, werden diese Rechtsmittel dazu genutzt, um die Unversehrtheit der Gemeinde wiederherzustellen.
 
Das Volk der Nasa betont sein Recht auf Autonomie
 
In diesem Sinne fordern die indigenen Gemeinden von den beiden Konfliktparteien, dem Militär und der Guerilla, das Gebiet zu achten, das ihnen seit Urzeiten gehöre. Diese Forderung ist jedoch nicht neu. Von Anfang an erklärten sich die Indigenen dem Konflikt gegenüber autonom. Das Volk der Nasa erhielt den Nationalen Friedenspreis und fasste Beschlüsse wie den von Vitoncó im Jahr 1985, in welchem es ihr Recht auf Autonomie bekräftigte. Dabei verwiesen die Nasa auf die schwierige Lage der indigenen Zonen im Cauca, die auf die Präsenz des Militärs, der Polizei und anderen bewaffneten und den Gemeinden fremden Gruppen zurückzuführen sei (4). Diese Erklärung wurde bei verschiedenen Versammlungen bestätigt. Da es jedoch keine der bewaffneten Parteien aufgibt, die Region und vor allem die indigenen Gebiete kontrollieren zu wollen und stattdessen die bewaffneten Auseinandersetzungen weitergehen, bedienen sich die indigenen Gemeinden ihrer legitimen und autonomen Kontrollmechanismen. Diese sind sozialer, territorialer und gemeinschaftlicher Art, so wie die Kontrolle ihres Gebietes durch die Gemeinden in Toribio (5).
 
Nationale und internationale Mechanismen zum Schutz der Nasa
 
„Diese Entscheidung folgt nicht nur aus der aktuellen Entwicklung. Vielmehr handeln wir im Gemeinschaftsauftrag der Gemeinden und unter dem Schutz der Verfassung Kolumbiens, die in den Artikeln 7, 10, 246, 329, 330 die Möglichkeit zu eigenem politischen und rechtlichen Handeln der indigenen Völker gewährt. Dieser Schutz wird außerdem durch internationale Mechanismen wie die UN-Erklärung über die Menschenrechte indigener Völker und die ILO-Konvention 169 bestätigt. Zu den Maßnahmen im Norden des Caucas haben wir gegriffen, weil wir erschöpft sind von den vielen Tränen und dem Sterben unserer Söhne, Väter und Brüder. Der Konflikt hat viele Todesopfer gefordert“, klagt der Nasa-Anführer Giovanny Yule.
 
Schließlich rufen die indigenen Anführer des Cauca zum offenen und ehrlichen Dialog mit dem Staat und der Regierung Kolumbiens auf. Dabei soll jedoch die Autonomie der indigenen Völker gewahrt werden. Sie fordern [die Regierung] dazu auf, mit den indigenen Gemeinden Einigungen über die militärischen Eingriffe in deren Gebieten zu treffen, wie es das internationale Recht verlange. Der Konflikt würde die indigenen Völker auslöschen. „Wenn wir heute unsere Rechte fordern, werden wir von der Regierung als Drogenhändler, Guerilleros oder Wilde eingestuft – schlimmer geht es gar nicht. Wir möchten klarstellen, dass wir die Verfassung, den sozialen Rechtsstaat und die kolumbianische Gesellschaft achten. Alles was wir wollen, ist die Einhaltung unserer Rechte und nur weil wir darauf bestehen, sind wir durch die Unfähigkeit der Regierung gefährdet. Sie beginnt, die Gewalt gegenüber unseren Gemeinden zu rechtfertigen“, so die Anführer Giovanny Yule und José Domingo Caldono aus dem Cauca.
 
Es bleibt nur der Widerstand
 
Was kann im Hinblick auf diese schwierige Entwicklung getan werden, zumal die erste große Versammlung zur Annäherung zwischen Regierung und den Indigenen scheiterte? Bei der Versammlung, die für den 27. Juli vorgesehen war, fehlte es an Ministern und Beamten mit Entscheidungsgewalt, wie sie von den indigenen Anführern gefordert wurden. Die Antwort erhielt ich ohne zu fragen von Aida Quilcue Vivas, einer großen Widerstandskämpferin aus Popayán. Als ich sie am 24. Juli um 7 Uhr morgens anrief, sagte sie mir: „Das einzige was uns als indigene Völker bleibt, ist den Weg des Widerstands zu gehen“. Aida befang sich gerade kurz vor ihrer Ankunft in Jambaló, 4 Stunden von Popoyán, der Hauptstadt des Cauca, entfernt. Dort nahm sie gemeinsam mit einer indigenen Gemeinde an einer Versammlung teil.
 
* Ismael Paredes Paredes ist Berichterstatter der Nationalen Indigenenorganisation Kolumbiens ONIC (Organización Nacional Indígena de Colombia)
 
Anmerkungen:
 
 
(2) Klage des Regionalen Indigenen Rates Risaralda CRIR: http://cms.onic.org.co/2012/06/risaralda-queremos-vivir-en-paz-en-nuestr...
 
(3) vgl. Poonal-Artikel http://npla.de/poonal/2916
 
(4) Zur Geschichte der indigenen Bewegung Kolumbiens: http://www.banrepcultural.org/sites/default/files/89026/01-Documentos-pa...
 
(5) Bericht zur indigenen Rechtssprechung und Anwendung des erlassenen Urteils: http://cms.onic.org.co/2012/07/aplicacion-del-derecho-propio-desde-la-jurisdiccion-especial-indigena/
 
Übersetzung: poonal  (www.npla.de/poonal)
 
https://www.alainet.org/es/node/160541
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